TO DO! Eine Chance für die Menschen

Der TO DO Award wird in diesem  Jahr virtuell verliehen.  Auch er ist ein Opfer von Corona.  Ein Virus reist um die Welt und seine Mutanten reisen hinterher. Flugzeuge bleiben am Boden, Kreuzfahrtschiffe im Hafen und Hotels geschlossen. Corona hat den Tourismus lahmgelegt. Kaum jemand redet derzeit vom Klimawandel, auch wenn er weltweit zu spüren ist. Reisen ist kaum mehr oder nur sehr eingeschränkt möglich. Und die ganze Welt muss erfahren, wie es ist, wenn keine Touristen mehr kommen, wenn niemand mehr reist. Nicht nur auf Mallorca oder in Ägypten fehlen die Touristen. Auch in den Schwellenländern wissen viele Menschen nicht mehr, wie sie ohne Touristen über die Runden kommen sollen. Gemeindebasierte Projekte, wie sie der TO DO Award auszeichnet, vermissen die Besucher ebenso wie die afrikanischen Tier-Reservate. Ist es in solchen Zeiten sinnvoll, den Award an ein Projekt zu verleihen? Ich habe darüber mit Claudia Mitteneder gesprochen, der Geschäftsführerin des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung.

Claudia Mitteneder, Geschäftsführerin vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung. Foto: Studienkreis

Frau Mitteneder, 25 Jahre lang zeigte der TO DO Award, dass Reisen unter Umständen lebenswichtig sein kann – für die Menschen vor Ort. Doch in Corona-Zeiten fehlen die Touristen. Ist es in dieser Situation sinnvoll, den Award zu verleihen?
Claudia Mitteneder Natürlich, und gerade jetzt! Mit dem TO DO Award zeichnet der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung Initiativen aus, die Partizipation und Mitsprache von Einheimischen bei touristischen Projekten und Angeboten ermöglichen. Und gerade jetzt ist es besonders wichtig, auf diese Projekte aufmerksam zu machen und sie zu unterstützen. Leider findet die Preisverleihung auf der ITB in diesem Jahr nur online statt. Wir versuchen trotzdem, die Projekte einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Immerhin ist der Preis mit 5000 Schweizer Franken dotiert. So erhalten die Projekte eine zusätzliche finanzielle Unterstützung.

Es geht um die Teilhabe der lokalen Bevölkerung

Was ist das für ein Projekt, das den Studienkreis davon überzeugt hat, es könne der Pandemie trotzen?
Mitteneder Das diesjährige Gewinnerprojekt „Rutas Ancestrales Araucarias“ erfüllt auf besonders beeindruckende Weise das Hauptkriterium des TO DO Award – die Teilhabe der lokalen Bevölkerung. Die Angehörigen des indigenen Volkes der Mapuche (übersetzt: „Menschen der Erde“) können ihre eigene Geschichte erzählen und selbst bestimmen, wie sie sich selbst, ihre Lebensweise, Traditionen und Werte darstellen wollen. Wichtig ist, dass möglichst viele Mitglieder der Community in das Projekt eingebunden sind. Die Einkünfte aus dem Projekt sind nur ein Zusatzverdienst, und fast alle Aktivitäten nehmen nicht mehr als ein bis zwei Stunden täglich in Anspruch. Insofern können die Mapuche problemlos ihrer normalen Arbeit nachgehen. Besonders in Zeiten von Corona erweist sich das als Segen, da sie sich weiterhin unabhängig versorgen und ihre Grundbedürfnisse befriedigen können.

Nicht nur für Touristen pflegen die Mapuche ihre traditionellen Gärten. Foto: Felipe Duran Ibanez

Mit der Auszeichnung rücken Sie auch das Volk der Mapuche in den Focus, das seit Jahrhunderten massiv unterdrückt wird. Kann denn ein Tourismusprojekt überhaupt dabei helfen, dem Staat Rechte abzuringen?
Mitteneder Das Volk der Mapuche, das vor allem im mittleren und südlichen Teil des Landes lebt, muss seit Jahrhunderten um die Anerkennung seiner Rechte kämpfen und wird bis heute vom Staat massiv unterdrückt. Sein angestammter Lebensraum wurde allein während der letzten Jahrzehnte von zehn Millionen Hektar auf jetzt 500.000 Hektar verkleinert. Mit dem Projekt „Rutas Ancestrales Araucarias“ setzen sich die Mapuche konsequent für die Anerkennung ihrer Kultur und Lebensweise ein. Bereits 2012 schlossen sich dazu verschiedene lokale Gemeinden zusammen, um über die wirtschaftlichen Perspektiven ihres Volkes zu beraten. Sie verbinden mit dem Tourismus auch die Hoffnung, ihr Recht auf Land besser verteidigen zu können. Indem die Mapuche mit ihren Gästen über den drohenden Bau von Fischfarmen oder Wasserkraftanlagen sprechen, klären sie nicht nur auf, sie gewinnen auch weitere Fürsprecher für die Verteidigung ihrer angestammten Territorien. Aktuell plant das Netzwerk, eine NGO zu gründen. Sie soll den Mitgliedern eine politische Stimme verleihen und ihren Kampf für Selbstbestimmung unterstützen.

Gemeinschaftlich kochen und planen in der Küche. Das Projekt „Rutas Ancestrales Araucarias“ ist dieses Jahr Preisträger beim TO DO Wettbewerb.                                                       Foto: Studienkreis

Auf den „Rutas Ancestrales Araucarias“, den Straßen der Ahnen, erfahren Touristen viel über die Geschichte und Kultur der Mapuche. Wie monetarisiert sich das Projekt?
Mitteneder Das Projekt finanziert sich komplett unabhängig – ohne fremde Geldgeber. Es werden verschiedene Routen, vielfältige Aktivitäten und auch Übernachtungsmöglichkeiten angeboten, die den Gästen die Kultur und Lebensweise der Mapuche näherbringen. Um den Mapuche neben zusätzlichen Einkommen aus dem Tourismus auch den Zugang zu Mikrokrediten zu erleichtern, wurde eine Gemeindebank (banco comunitario) aufgebaut. Darüber können sich die Mitglieder des Projekts zu sehr guten Konditionen Geld leihen und flexibel zurückzahlen. Die Investitionen der Gemeindemitglieder der letzten Jahre haben sich schnell ausgezahlt – sogar so sehr, dass viele freiwillig mehr als gefordert an die Bank zurückzahlen.

Gemeindebasierter Tourismus ist widerstandsfähig

Dazu braucht es allerdings Touristen, die derzeit ausbleiben. Sie sind eine erhoffte und notwendige Einnahmequelle für die Bevölkerung. Wie überleben solche Projekte ohne Touristen?
Mitteneder Wir sind überzeugt davon, dass der gemeindebasierte Tourismus im Gegensatz zum konventionellen Tourismus wesentlich widerstandsfähiger ist. Die Projekte sind nachhaltiger und breiter aufgestellt und nicht von einer Einkommensquelle wie dem Tourismus abhängig sind. So lassen sich Krisen leichter bewältigen.

2020 wurde das Projekt Esfahk Historic Village im Iran mit dem TO DO Award ausgezeichnet.      Foto: Klaus Betz

Schauen wir mal zurück auf die Preisträger vom Vorjahr, die im Rahmen der diesjährigen Online-Preisverleihung ebenfalls geehrt werden. Die Projekte Esfahk Historic Village im Iran und Banteay Chhmar Community Based Tourism in Kambodscha haben ja bereits ihre Erfahrungen mit dem Corona-Jahr gemacht. Konnten sie sich denn über Wasser halten? Was erwarten die Verantwortlichen von der Zukunft?
Mitteneder Bei beiden Projekten ist der ausländische Tourismus natürlich durch Corona völlig zum Erliegen gekommen. Die Dorfbewohner von Esfahk kümmern sich stattdessen um ihre Felder oder gehen ihren normalen Berufen nach. Am Projekt werden Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt, etwa Abwassertanks zur Wasseraufbereitung installiert, um Abwässer in der Landwirtschaft nutzbar zu machen. Unabhängig von der augenblicklichen Lage im Iran hoffen die Verantwortlichen, dass zumindest der inner-iranische Tourismus bald wieder ein gewisses Maß an Einkommen generieren wird. Ähnlich ist die Lage in Kambodscha. Da beide Projekte nicht allein vom Tourismus abhängig sind, sind sie resilienter in der Krise.

Aktivitäten wie Tempeltouren werden von den Projekt-Verantwortlichen in Kambodscha angeboten. Foto: Laura Jäger

Und wie sehen Sie die Zukunft des TO DO Award in diesen unsicheren Zeiten? Welche Hoffnungen verbindet der Studienkreis mit der Zeit nach Corona?
Mitteneder Der TO DO Award soll auch Hoffnung stiften für die Weiterentwicklung herausragender touristischer Initiativen nach Corona. Denn gerade diese Krise hat gezeigt, wo die Chancen und Risiken im Tourismus liegen. Tourismus wird ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für viele Länder des Globalen Südens bleiben, und wir setzen uns weiterhin für eine nachhaltige und sozialverantwortliche Form des Tourismus ein, von der auch die Bevölkerung des Landes profitiert.

Für die Rechte der Frauen in aller Welt setzt sich Equality in Tourism International ein.                 Foto: Studienkreis

 

 

Nun verleiht der Studienkreis auch noch den TO DO Award Human Rights in Tourism – dieses Jahr zum fünften Mal. Er geht an geht an „Equality in Tourism international“, eine Londoner Organisation, die sich für volle Gleichberechtigung von Frauen in allen Bereichen des Tourismus einsetzt. Womit hat die Organisation Sie besonders beeindruckt?
Mitteneder Der „TO DO Award Human Rights in Tourism“ schafft ein Bewusstsein für Benachteiligungen bis hin zu Menschenrechtsverletzungen im Tourismus und will dazu beitragen, dass das Thema Menschenrechte im Tourismus fest verankert wird. Das gilt natürlich auch und ganz besonders für die Rechte der Frauen weltweit. „Equality in Tourism“ ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie aus kleinen Initiativen eine weltumspannende Bewegung entstehen kann. Der Preis geht also wohlverdient nach London.

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