Messerscharf: Kim Echlins „Der verschollene Liebhaber“

Sensible Gemüter sollten sich die Lektüre  von Kim Echlins Roman zumindest nicht am Abend zumuten. Sonst sind Alpträume garantiert. Der fast harmlos klingende Titel „Der verschollene Liebhaber“ führt in die Irre. Dies ist zwar auch eine Liebesgeschichte, vor allem aber erzählt der Roman eine Geschichte aus Kambodscha, jenem fernen geschundenem Land, das eine Riege junger Maoisten um Pol Pot in die Steinzeit zurück führen wollte.

In den vier Jahren ihres Terrorregimes zwischen 1975 und 79 starben zwei
Millionen Menschen – und die Welt schaute zu. Dann marschierten die
Vietnamesen ein und blieben bis 1989. Sie entmachteten die schlimmsten
Schergen der Roten Khmer und ermöglichten nach ihrem Abzug eine von den
Vereinten Nationen überwachte Übergangsregierung. Auch erste
„demokratische Wahlen“ fanden statt. Doch selbst da agierten Anhänger
der Roten Khmer aus dem Hinterhalt, verschleppten Gegner und ermordeten
sie. Von diesen Zeiten erzählt Kim Echlin in ihrem Buch.
Alles fängt damit an, dass sich die 17-jährige Kanadierin Anne in den
kambodschanischen Studenten Serey verliebt. Es ist eine Liebe, die
Grenzen überwindet und Annes Leben gründlich verändert. Denn nach der
Entmachtung der Khmer kehrt Serey zurück in seine Heimat. Jahre später
folgt ihm Anne, die ihren Liebhaber nicht vergessen kann. Sie findet den
Geliebten und doch bleibt ihr sein Innerstes verschlossen. Um die Mauer
des Schweigens zu durchbrechen, geht auch Anne durch die Hölle von
Kambodschas Geschichte, mutet sich das Foltergefängnis von Tuol Sleng zu
und die Killing Fields. Das alles bereitet sie nicht auf die endgültige
Trennung vor, die sie seelisch kaum verkraften kann. Die Suche nach dem
verschollenen Geliebten kostet die junge Frau fast das Leben. Als sie
ausgewiesen wird, bleibt ein Teil von ihr in Kambodscha zurück.
Wie ein scharfes Messer schneidet die poetische Sprache Kim Echlins ins
Herz und am Ende fragt man sich wie Anne, wie dieses Grauen unter den
Augen der Öffentlichkeit möglich sein konnte: „Warum leben manche
Menschen ein bequemes Leben und andere eines voller Grauen? Welchen Teil
unserer selbst schneiden wir ab, um weiter essen zu können, während
andere hungern? Wenn jemand hundert Kilometer von hier Frauen, Kinder
und alte Menschen ermordete, würden wir nicht hinlaufen, um etwas
dagegen zu tun? Warum unterbinden wir diese Herzensentscheidung, wenn es
nicht hundert, sondern fünftausend Kilometer sind?“
Es ist ein aufwühlendes Buch, mit dem die Autorin einer egoistischen,
selbstverliebten Welt ins Gewissen redet. Wer sich darauf einlässt, wird
zumindest in der nächsten Zeit nicht mehr so leicht wegschauen, wenn
Unrecht geschieht – und das ist schon viel.
Info: Kim Echlin, Der verschollene Liebhaber, Kiepenheuer, 263 S., 19,95
Euro. 

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