Mehr Sein als Scheinen: Muriel Barberys „Die Eleganz des Igels“

Die Eleganz des Igels
(Buch)
Autor: Muriel Barbery
Verlag: Dtv
Erschienen am: 2008-05
Seiten: 360
ISBN: 3423246588

„Madame Michel besitzt die Eleganz des Igels: außen ist sie mit Stacheln gepanzert, eine echte Festung, aber ich ahne vage, daß sie innen auf genauso einfach Art raffiniert ist wie die Igel, diese kleinen Tiere, die nur scheinbar träge, entschieden ungesellig und schrecklich elegant sind.”
Mit der Intuition es hyperbegabten Kindes durchschaut die zwölfjährige Paloma die graue Maus des herrschaftlichen Hauses in der Rue Grenelle 7 im vornehmen Pariser Stadtteil Saint Germain. Nach außen hin ist Renee Michel die typische Concierge, mürrisch, maulfaul, unansehnlich und geistig eher unterbemittelt.

Aber wie so oft trügt auch hier der Schein. Im Gegensatz zu den meist arroganten Hausbewohnern, die sich hinter Eitelkeit und Etikette verschanzen und zu echten Freundschaften unfähig sind, hat Madame Michel das Herz auf dem rechten Fleck – und sie ist blitzgescheit. So gescheit, dass sie die anderen schnell durchschaut hat: Eine Concierge, die Kant liest und Dostojewski, die klassische Musik liebt und japanische Filme, eine solche Concierge darf es nicht geben. Das würde das wohlgeordnete Weltbild der Hausgemeinschaft erschüttern. Deshalb greift Renee zur Maskerade, wird zum Maulwurf.
Nur die portugiesische Putzfrau Manuela ahnt, was sich hinter der hässlichen Fassade der Concierge verbirgt – und Paloma, die kluge Tochter eines Politikers. Weil ihr das oberflächliche Leben der Familie unerträglich erscheint, hat sie sich vorgenommen, mit 13 Selbstmord zu begehen.
Doch dann ändert sich plötzlich alles. Der Gourmet-Kritiker, einer der unangenehmsten Hausgenossen stirbt, und ein vornehmer, stiller Japaner zieht in seine Wohnung. Kazuko Ozu heißt er, wie Renees Lieblingsregisseur. Die beiden brauchen nicht viele Worte um einander zu verstehen.
Der Japaner durchschaut die Maskerade und schält geduldig die echte Renee aus den Schichten der Jahrzehnte. Neue Freundschaften entstehen und für Renee gibt es Augenblicke wie die Ewigkeit. Es ist ein bisschen wie Aschenputtel oder Pygmalion, ein Märchen – allerdings ohne Happy End. Denn Renee stirbt einen absurden Tod. Doch sie stirbt nicht umsonst, denn ihr Tod rettet Paloma das Leben und der Autorin Muriel Barbery ihre Glaubwürdigkeit.
Renees Ende bewahrt dieses kluge, wunderbare Buch davor, in romantischen Kitsch abzugleiten. Schon deshalb und weil die philosophischen Einsichten so wichtig sind, kann man sich nur wünschen, dass  der „Eleganz des Igels“ eine Verfilmung erspart bleibt.

Info: Muriel Barbery: Die Eleganz des Igels, dtv, 364 Seiten, 14,50 Euro   

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