Literarische Ehren für die Linie 4: Annett Gröschners „Mit der Linie 4 um die Welt“

Fremde Städte werden vertraut, wenn man sie im öffentlichen Verkehrsmittel erlebt. Man kommt ihnen nahe, ihren Menschen, ihrer Geschichte. Das macht auch den Reiz von Annett Gröschners ganz anderem Reisebuch „Mit der Linie 4 um die Welt“ aus. Wobei der Titel irreführend ist. Annett Gröschner ist natürlich nicht mit einer Linie 4 um die Welt gereist, sie hat in den Städten nach dieser Linie gesucht, ob Bus oder Tram, weil die Linie 4 die Straßenbahn ihrer Kindheit in Magdeburg war.

Wie unterschiedlich diese Linien 4 sind, ist unterhaltsam zu lesen und oft auch aufschlussreich. Man erfährt, dass in Amsterdams Linie 4 noch eine Schaffnerin in einem Glaskabuff zu finden ist. Dass es in Kasachstan zwei ganz verschiedene Astanas gibt, das vernachlässigte alte und das gigantomanische neue. Dass die Nr. 4 in Ostberlin nach 1961 nur wenige Meter vor der Mauer endete. Dass die Endhaltestelle der Linie 4 in Hildesheim am Rand von Himmelsthür liegt. Dass die Kasaner Vierer wohl die kürzeste Straßenbahnlinie der Welt ist. Oder dass in Istanbul eine Linie 4 ihrer Runden dreht, die aus Jena stammt. Und im rumänischen Klausenburg stößt die Autorin gar auf eine Straßenbahn aus Magdeburg.
Man hört Annett Gröschner gern zu, wenn sie ins Plaudern gerät, über die Geschichte und das Gesicht der Städte, ob das Gestern und Heute und über die Künstler, die dort gelebt, gemalt oder gedichtet haben. Wenn sie Jorge Luis Borges zitiert oder Bert Brecht, Baudelaire oder Strittmater. Aber auch, wenn sie sich selbst Geschichten ausdenkt, die in der Linie 4 spielen könnten. Und vielleicht steigt man nach der Lektüre mit einem ganz neuen Gefühl in die heimische Straßenbahn.
Info: Annett Gröschner, Mit der Linie 4 um die Welt, DVA, 399 S., 22,90 Euro 

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