Kitzbühel: Von Marken und Machern

Der Kaiser lebt nicht mehr hier. Franz Beckenbauer hat seinen Hauptwohnsitz von Kitzbühel nach Salzburg verlegt. Nicht, weil die Frau des Moskauer Bürgermeister Luschkow, Jelena Baturina, den Golfplatz Eichenheim gekauft hat. Auch nicht, weil mit dem Arosa Grandhotel jetzt noch mehr Touristen nach Kitzbühel gelockt werden oder weil Kitzbühels Boden mittlerweile so teuer ist, als wäre er mit Gold belegt. Nein, Vater Beckenbauer ist der Kinder wegen umgezogen – mit einem weinenden Auge. Denn Kitzbühel ist ein Ort so recht nach kaiserlichem Gusto. Ein Städtchen mit Geschichte und dem Flair einer Weltstadt. Und natürlich eine Sportstadt. Das Hahnenkammrennen, die Streif sind legendär.
Peter Marko ist nach Kitzbühel gezogen. Für den neuen Tourismusdirektor, der aus Sölden kam, „ein Sahnehäubchen“ in seiner Karriere. Nicht nur, weil Jürgen Schrempp hier ein Haus hat oder Uschi Glas. Auch nicht, weil es in Kitzbühel vier Golfplätze gibt und ein „herausragendes Skigebiet“. Nein, Vater Marko ist auch der Kinder wegen nach Kitzbühel gekommen. Weil die in der Sportstadt Kitzbühel die besten Chancen haben und weil „die Lebensqualität unvergleichlich ist“.
 

Jetzt kurz vor Weihnachten sind die Kitzbüheler Alpen weiß bestäubt. Im Tal fallen dicke, watteweiche Flocken auf die Häuser und legen einen Vorhang aus weiß vor die Lichterketten über den Straßen. Bergbahnchef Dr. Georg Hechenberger schaut zufrieden aus dem Fenster seines Büros. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn dies kein erfolgreicher Winter würde. So früh wie dieses Jahr konnte man  in der 80-jährigen Geschichte des Wintersportorts noch nie Skilaufen. „Es war perfektes Timing“, freut sich Hechenberger über das Zusammentreffen von Natur- und technischem Schnee Anfang November. Der jungenhafte Bergbahnchef, blond und blauäugig, erinnert sich mit Schrecken an das „Kommunikationsproblem“ im letzten Winter, als Kitzbühel nicht nur wegen des ausgefallenen Hahnenkammrennens nicht mehr aus den Schlagzeilen herauskam. „Bei der ganzen Klimawandel-Diskussion wurde uns die Marke Kitzbühel a bisserl zum Verhängnis“, versucht der 43-jährige Macher eine Erklärung. Die „200-Meter-Problemzone“ an der Rennstrecke, an der das Rennen scheiterte, habe die Diskussion beherrscht. Hechenbergers himmelblaue Augen umwölken sich bei dem Gedanken daran. Habe man doch den ganzen Winter über „fantastische Bedingungen“ gehabt, „zugegebenermaßen zu 90 Prozent Kunstschnee“. Und dem Durchschnittsgast sei nun mal die Kombi gebügelte Piste auf Kunstschnee mit angenehmen Temperaturen und viel Sonne lieber als viel Neuschnee mit Kälte und wenig Sonne.
Trotzdem, schön ist’s schon, wenn der Schnee vom Himmel fällt, auch wenn der „technische Schnee wirklich Natur pur ist“. Für Hechenberger, der zu Hause einen Bauernhof hat, auf dem zweiten Bildungsweg Betriebswirtschaft studiert und über Finanzwissenschaften promoviert hat, ist Beschneiung so etwas wie „moderne Alchimie“. Schon längst haben die „Schneimeister“ der unzuverlässigen Frau Holle den Rang abgelaufen und auch die Landwirte versöhnt, die ein trockenes Frühjahr mehr fürchteten als alles andere. 1,5 Millionen Kubikmeter  Kunstschnee produzieren die „Schneemänner“  von Kitzbühel jährlich, den Kubikmeter zu einem Euro. Das geht ins Geld – und zahlt sich doch aus. Erstmals kann in diesem Jahr die Skisafari bis zum Pass Thurn zu 100 Prozent beschneit werden. Wo die Elefanten den Weg weisen, können sportliche Skifahrer jetzt an einem Tag rund 50 Kilometer in Liften und auf Pisten von Gipfel zu Gipfel schweben und haben dabei immer neue, grandiose Bergpanoramen vor Augen. Und wer im neuen 8er-Sessel „Steinbergkogel“ nach oben gondelt, dem wird dank Sitzheizung ganz warm um Herz und Hinterteil.
Ja, Kitzbühel ist schon was Besonders, sinniert Tourismusdirektor Marko, während er den Fisch auf seinem Teller sorgfältig zerteilt. Der Steiermärker mit dem kantigen Gesicht und den zurückweichenden braunen Haaren will sich seinen Optimismus nicht nehmen lassen – auch nicht von Kollegen wie St. Moritz’ Tourismusdirektor Hanspeter Danuser, der sich über die Zweitwohnungen im Schweizer Nobelort echauffiert. Wozu denn? fragt Marko und schaut blauäugig. „Die Zweitwohnungsbesitzer bringen Umsatz, Flair und Veranstaltungen nach Kitzbühel.“ Und im Übrigen: „Offiziell gibt es 1780 Zweitwohnsitze im Großraum Kitzbühel – darunter genau fünf Russen.“ Noch immer stellten die Deutschen mit 30 Prozent den Großteil der Gäste, gefolgt von den Österreichern, Engländern und Iren. Gerade mal 1,6 Prozent kämen aus Russland. „Da erübrigt sich jede Diskussion.“ Und wie ist das mit den galoppierenden Immobilienpreisen? Der 44-jährige Touristiker lächelt entschuldigend: Klar, die Bodenpreise seien explodiert – nicht anders als in München oder Frankfurt. Aber die Gemeinde baue derzeit „vernünftige Wohnmöglichkeiten für Einheimische zu erschwinglichen Preisen“. Dass Kitzbühel ein teures Pflaster ist, stimme zwar, wenn man die Ansammlung von Fünf-Sterne-Hotels und Nobelläden betrachte. Trotzdem müsse ein Urlaub im Luxusörtchen nicht teuer sein. Zimmer gäbe es bereits ab 22 Euro und ein Mittagsmenü wie das Seine ab sieben Euro.
Wer auf den Cent schaut, kommt eher nicht in die Maßschneiderei Prader, wo der 72-jährige Patron immer noch die Fäden in der Hand hält. Der Grandseigneur mit dem Silberhaar und dem Maßband über dem blauen Anzug, weiß, wie man Kunden betreut. Darin hat er schließlich 48 Jahre Übung. An den Wänden hängen Fotos der prominenten Kunden von Robert Redford über Heino und Roman Polanski bis zu Sean Connery, den Kessler-Zwillingen und Udo Jürgens, die Praders Handwerk und seine Zuwendung zu schätzen wissen. Auch jetzt ist der Laden voll von Prader-Fans. „Sind Sie glücklich?“ fragt der Meister einen Kunden. „Noch nicht“, antwortet der, „aber ich wird’s bald sein.“ Kaum vorstellbar, dass jemand den Laden unzufrieden verlässt – oder ohne Einkaufstüte.
Prader lässt seinen berühmten Espresso auftischen oder er schenkt ein Stamperl Schnaps vom Schwager ein und eh man sich’s versieht, hat man schon ein Paar Schuhe gekauft oder sich eine Hose auf den Leib schneidern lassen. „Den Blazer, den ich vor 20 Jahren bei Ihnen nach Maß gekauft habe, hab’ ich immer noch“, schwärmt ein Neuankömmling. „Und wie alt ist jetzt die Hose?“ will der Schneider wissen. „Von 97 und noch wie neu“, lobt der Kunde. „Hose ist eh eine Wissenschaft“, doziert Franz Prader über die hohe Kunst der Schneiderei und schaut streng auf die Jeans seines Gegenübers. „Die Leute wissen nur leider nicht mehr, was eine gute Hose ist.“  Der Herzog von Kent, ja der wisse es noch zu schätzen und bekomme alljährlich eine Prader-Hose.
Bei Prader ist alles Handarbeit bis zum letzten Knopfloch, da achtet der alte Herr persönlich darauf.
Zwölf Schneiderinnen sticheln und nähen in den Räumen über dem Laden, denn die Nachfrage ist groß. Auch russische Kundschaft zählt schon zu den Stammkunden. „Ein Industriemagnat hat mich zu sich nach Moskau eingeladen. Im gepanzerten Wagen!“ Franz Prader schüttelt sich. Natürlich hat er abgelehnt. „Die leben schon gefährlich“, flüstert er, „dem Polizeichef haben’s den Kopf weggeschossen.“ Nichts für den Schneider von Kitzbühel, der noch lang nicht daran denkt, Nadel und Faden wegzulegen. „Ich arbeite bis ich sterbe“, sagt der alte Herr und zeichnet einen neuen Hosenschnitt.
So richtig raus aus Kitzbühel will der gebürtige Südtiroler schon lang nicht mehr. Besonders gern sitzt er in Rosis Sonnbergstuben und schaut hinunter auf das Städtchen, das sein kleines Paradies ist. Auch Rosi ist eine Instanz in Kitzbühel: das Blondhaar hochgetürmt, eine dunkle, eckige Brille auf der Nase, ein Kreuz im Dirndausschnitt. Die singende Wirtin inspirierte den Musikproduzenten Jack White zum Kitzbühel Lied   ("Kitzbühel mein Augenstern") und  im Januar kommt ein neues Lied raus, das White ihr auf den fülligen Leib geschrieben hat: „Hier in den Bergen“. Seit 40 Jahren ist die Rosi mit Leib und Seele Wirtin. Und ihre Gäste danken es ihr und füllen die Sonnbergstub’n bis in den letzten Winkel. „A jeder fühlt sich wohl“, sagt die Rosi befriedigt und singt dem Nachbartisch ein Geburtstagsstanzerl. Caroline von Monaco war schon hier, verrät sie dann, und Fürst Albert „jetzt mit Freundin“. Seit sie vor 40 Jahren angefangen hat, hat sich viel geändert, auch die Gäste sind heute andere als damals, als sich Prinz Alfi von Auersperg mit dem Hubschrauber auf die Bichlalm fliegen ließ. Der Präsident von Kasachstan Nursultan Nasarbajew etwa komme zwar mit dem Auto, aber mit 18 Bodyguards. „Da muss auch das Essen vorher getestet werden.“
An diesem Abend ist das nicht nötig. Die berühmten Bauernenten gehen weg wie die warmen Semmeln und der Wein fließt in Strömen. Die Rosi könnte zufrieden sein, wenn sie nur wüsste, wer den Laden mal übernimmt. Der Sohn wird’s nicht sein, er hat sich anders entschieden. Die Mutter ahnt warum: „I hab ihn allein großzogn. Aufgwachsn is er ohne freie Tage und ohne Weihnachten.“ Man musste schon etwas investieren, wenn man erfolgreich sein wollte.
Das ist heute nicht anders, meinen Andrea und Christian Harisch. Sie sorgen derzeit mit einem spektakulären Aufbau für Aufsehen. Wo sich bis vor einem Jahr das Giebeldach des Hotels Schwarzer Adler in die Kitzbüheler Dächerkulisse fügte, schimmert heute weithin die spiegelglatte Oberfläche des neuen Pools. 120 000 Liter Wasser sind nötig, um das 16 Meter lange und sechs Meter breite Stahlbecken zu füllen. Damit das Hotel unter der Last nicht zusammenbricht, mussten die Stützen im ganzen Haus bis hin zu den Fundamenten der Tiefgarage verstärkt werden. Der Aufwand hat sich gelohnt: Der Blick hinunter auf das Millionendorf und hinüber auf die weißen Berge ist filmreif. Einen ähnlichen Ausblick haben die Gäste der neuen Suiten, die mit minimalistischem Design und pfiffigen Ideen wie hellgrauen Filzpaneelen über den Einbauten überzeugen. Der Schwarze Adler ist etwas für trendige Leute, die sich am Alpenbarock satt gesehen haben. Für sie hat Andrea Harisch in der einst verspielten Lobby relaxte Lounge-Atmosphäre geschaffen. Das ganze Haus atmet entspannte Modernität. Kein Schnickschnack, keine Blümchen und Bildchen. Stattdessen offener Sichtbeton und viel Holz. Im „Black Spa“ rinnt der Schweiß im Halbdunkel der Saunawelt, man döst völlig losgelöst bei Walgesängen auf schwarzen Wasserbetten oder lässt sich in klösterlich kargen Kabinen verwöhnen. Und der Clou: im Sommer geht’s zur Abkühlung per Lift geradewegs hinauf zum Dachpool unter freiem Himmel. Hotelier Christian Harisch verbirgt seinen Stolz auf den „Jumbo auf dem Dach“ nicht. Der Vordenker  ist überzeugt davon, dass solche Investitionen nötig sind, um die Marke Kitzbühel voranzubringen. „Man hat lange geglaubt, man könne sich auf einem großen Namen ausruhen“, diagnostiziert er kritisch. Die Juniorgeneration der alteingesessenen Hotelierfamilie Harisch hält dagegen. Sie ist angetreten Trends zu setzen.
Auch im brandneuen  Restaurant Velvet im Fünfsterne-Hotel Weisses Rössl ist Andrea Harischs Hand zu spüren. Das Lokal präsentiert sich ganz in rotem Samt und wirkt dabei überhaupt nicht plüschig. Die indirekte Beleuchtung hebt die feine Maserung der Holztische hervor. Ganz bewusst hat Andrea Harisch im neuen Reich des noch jungen Chefkochs Andreas Stock ganz andere Akzente gesetzt als im Restaurant Neuwirt, wo Küchenchef Stefan Hofer den Kitzbüheler Restauranthimmel schon mit einem Stern bereichert hat. Im eher gemütlich-rustikalen lichtgrünen Traditionsrestaurant zelebriert Hofer eine Küche, in der sich scheinbar Gegensätzliches harmonisch verbindet wie  Steinbutt mit knuspriger Ente, Ingwer, Kokos und Pakchoi oder  Rote Rüben Tascherl mit Mohn und gebratener Gänsestopfleber.
Tourismusdirektor Peter Marko lässt sich Hofers Kreationen auf der Zunge zergehen. So genussvoll kann Kitzbühel sein. Das weiß auch der Kaiser und deshalb schaut Franz Beckenbauer immer wieder gerne mal vorbei.                                    

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