Das Erbe der Tempelritter

Auf dem Larzac im Südwesten Frankreichs haben die Kreuzritter Spuren aus Stein hinterlassen. Wandernd kommt man ihrer Zeit und ihrer Kultur näher. Und lernt dabei noch die trutzigen Orte des windzerzausten Hochlandes kennen: La Cavallerie, La Couvertoirade, Ste. Eulalie. Kein Wunder übrigens, dass der Frankreichs Bauernrebell von hier kommt: Jose Bove hat seinen Widerstand aus dieser Landschaft gesaugt.
am Wegrand, die Ähren wogen im Wind wie ein goldgelbes Meer. Doch hinter den dicken Mauern von Ste. Eulalie herrscht Windstille. Der kleine Ort im Larzac, einer Karsthochebene im Languedoc, hat allen Stürmen der Neuzeit getrotzt und sieht heute noch so aus wie zur Hoch-Zeit der Kreuzzüge. Ste. Eulalie gilt als die Keimzelle der französischen Tempelritter. Was das in diesen Zeiten heißt, da Dan Browns „Illuminati” heiß diskutiert und das Erbe der Templer Filmstoff ist, wissen die Tourismusverantwortlichen ­ und sie wollen es nutzen. „Weltkulturerbe” könnte der Larzac werden mit dieser Vergangenheit, meint Laurence Fric vom Conservatoire.
Die junge Französin lebt in der Vergangenheit auf. Bei einer Führung durch die Komturei von Ste. Eulalie lässt sie die Welt der Großmeister und Kreuzritter lebendig werden. Es waren die Templer, die im 11. Jahrhundert die Festung gründeten ­ wohl als größte Komturei auf europäischem Boden. Denn nach und nach gelang es den Rittern im weißen Mantel mit dem roten Kreuz, das ganze Larzac für ihre Zwecke zu vereinnahmen: die Kreuzzüge ins Heilige Land mit Nahrung zu versorgen. Die Ritter selbst, die nur auf den Kreuzzügen kämpfen durften, lebten anfangs genügsam ­ fast asketisch wirkt auch die schmucklose romanische Kirche. Doch ihre zunehmende Macht erregte den Neid der noch Mächtigeren.
Unter Philippe dem Schönen wurde der Orden aufgelöst, 1307 gingen die Templer von Ste. Eulalie in den Kerker, ihr Hab und Gut wurde eingezogen. Auf die Tempelritter folgten die Johanniter ­ und aus war’s mit der Askese. Die Großmeister übertrafen einander mit Prunk und Pomp. Einer der letzten war Mirabeau, der Onkel des französischen Revolutionärs. Auch La Valette, der Maltas Hauptstadt ihren Namen gab, kam aus Ste. Eulalie. Jetzt sind die Schlafsäle verwaist. Auf dem Marktplatz der befestigten Stadt liegt ein Hund in der Sonne. Der Brunnen plätschert, Chez Mimile trinkt ein älteres Paar Panaché, die französische Radler-Version. Nur auf der Wendeltreppe im Schloss herrscht Gedränge. Eine Busladung Touristen ist angekommen.
Zeit aufzubrechen. Wir sind nicht mit dem Bus da, sondern zu Fuß. Wandernd erleben wir die Entfernungen zwischen den Templer-Orten ganz anders als mit dem schnellen Auto. Die Landschaft teilt sich mit durch den Duft der Blumen, das Zwitschern der Vögel, durch die Art des Weges. Mal laufen wir durch Wald auf samtweichem Boden, dann wieder geht es unter sengender Sonne steinig bergauf. Mal führt eine schnurgerade Teerstraße zu einsam liegenden Höfen, dann wird der Pfad so eng, dass man gerade noch einen Fuß vor den anderen setzen kann. Kein Mensch, nirgendwo. Es ist einsam auf den Höhen des Larzac. Einsam und still. Nachdem eine Bürgerinitiative in den 70-iger Jahren die Ausweitung des Militärgeländes und die Stationierung von Atomwaffen verhindert hat, ist die Hochebene in ihren Dornröschenschlaf zurückgesunken. Gerade mal vier Einwohner leben hier auf einem Quadratkilometer.
Im Vergleich dazu sind die Sehenswürdigkeiten geradezu inflationär: La Cavallerie, einst lebhaftes Städtchen am Schnittpunkt der Handelsstraßen, ist eine Baustelle. Ende des letzten Jahrhunderts wurde hier mit Mitteln der EU, des Staates und des Departements begonnen, die Vergangenheit wieder aufzubauen. Denn im Lauf der Jahrhunderte waren die steinernen Zeugnisse der Ritterorden den Bedürfnissen der Menschen gewichen. Der Rekonstruktion der wuchtigen Stadtmauer muss so manches Häuschen weichen ­ und das geht nicht immer reibungslos. Doch die Menschen haben erkannt, dass die Zukunft ihres Städtchens in seiner Geschichte liegt und helfen zusammen. Leute aus Montpellier oder Toulouse richten sich die schmuck restaurierten Häuser als Zweitwohnsitz ein.
Auch in dem Städtchen Nant, das um eine Benediktinerabtei herum entstand, sind viele Häuser Zweitwohnsitze wohlhabender Großstädter. Für Alain Bonnemayre vom Tourismusbüro ein Segen genauso wie die beiden Altenheime und die Touristen. „Sie halten die Stadt am Leben,” sagt der 47-jährige, der aus seiner Heimatliebe kein Hehl macht. Gern erzählt er Anekdoten über das verträumte Städtchen. An der imposanten Klosterkirche aus dem 11. Jahrhundert ­ heute Pfarrkirche ­ wird mal wieder gebaut. Um sie erhalten zu können, wurde die ehemalige Pfarrkirche an einen Bauern verkauft. Heute ist sie eine Garage, der alte Friedhof wurde eingeebnet ­ wo einst Gräber waren, fahren die Autos. Das Tourismusbüro selbst residiert stilvoll in einer alten Kapelle der Pénitents blancs, einer streng katholischen Bruderschaft.
In La Couvertoirade dagegen ist noch (fast) alles so wie zu Kreuzritter-Zeiten. Ein Audioguide versetzt uns zurück ins Mittelalter, als sich die Orte des Larzac einigelten, um gegen den Ansturm der Protestanten gewappnet zu sein. Aber in der Kirche wird kein Gottesdienst mehr abgehalten, im Friedhof niemand mehr beerdigt. Gerade mal 40 Einwohner leben noch zwischen den alten Mauern. Viele Häuser sind Zweitwohnsitz oder dienen als Atelier oder Souvenir-Laden. Der Tourismus hat dieses Rothenburg des Larzac schon entdeckt. Wir schauen vom Wehrgang auf die Schiefer gedeckten Dächer und das Gewusel in den engen Gassen.
Nur ein paar Kilometer weiter herrscht wieder wunderbare Ruhe. Eine Schafherde drängt sich in einer Talsenke, hoch über unseren Köpfen singt eine Lerche, unzählige Blumen machen die Wiesen zu einem impressionistischen Blütenteppich. Hier blühen Orchideen in flieder und pink, dort Hunderte von tiefblauen Küchenschellen. Wir wandern durch einen grünen Tunnel, die Sonne zaubert goldene Sprenkel auf den Weg. Wir rasten auf einem Holzstoß, lassen uns das mitgebrachte Picknick schmecken und fühlen uns als wären wir aus der Zeit gefallen. Kein Motorengeräusch, nur das Zirpen der Zikaden.
Manchmal muss man schon Pfadfinder sein, um Weg zu finden. Mal sind im ZehnMeter-Abstand Bäume oder Felsen rot-weiß markiert, dann wieder ist auf einem Kilometer nicht die Spur einer Markierung zu finden oder die Farben sind so verwittert, dass man ganz genau hinschauen muss. Wie gut, dass wir zu dritt sind. Sechs Augen sehen mehr als zwei ­ und das Büchlein mit den Abschnittskarten ist eine willkommene Hilfe.
So kommen wir schließlich auch nach Saint Jean D’Alcas, einer kleinen Ausgabe von La Couvertoirade, zurückgehend auf die Johanniter. Einst war hier eine Zisterzienserabtei für Frauen, das größte Haus mit der größten Zisterne hatte sich die Äbtissin reserviert. Im Zug der französischen Revolution wurde der Kloster enteignet, die (arbeitslos gewordenen) Bauern verließen den Ort. Saint Jean d’Alcas zerfiel. In den 70-igern des 20. Jahrhundert hatte man dann nicht einmal genügend Geld, die baufälligen Häuser abzureisen, erzählt die 23-jährige Pauline. Erst Touristen aus Lyon erkannten den Wert des Kulturerbes, investierten viel Geld, restaurierten die Häuser und sorgten dafür, dass die verbliebenen Bewohner das Potenzial ihres Ortes erkannten.
Auch in La Viola-du-pas-de-joux mit dem markanten viereckigen Turm geht die Restaurierung auf eine Privatinitiative zurück. Eine Gesellschaft sammelte die nötigen Gelder. In einer der Latrinen wurden bei der Sanierung mittelalterliche Werkzeuge zur Herstellung von Falschgeld gefunden, was beweist, dass die Finanzwelt schon zu Zeiten der Johanniter nicht heil war. Heute präsentiert sich der Turm wehrhaft wie einst ­ und von seinen Zinnen kann man weit in die Landschaft des Larzac hineinschauen. Fast bis nach Montredon, dem Wohnsitz eines modernen Don Quichottes. José Bové führt seinen eigenen Kreuzzug ­ gegen die Auswüchse der EU-Bürokratie.

Ein Kommentare
  • ralf wendling
    Mai 16, 2012

    Hallo, bonjour, Frau Solcher,

    engagierter Artikel. Ich schreibe Ihnen aus „Eigeninteresse“, will etwas Werbung für unser Naturprojekt La Source machen. Wir sind hier im Katharerland, Nähe Albi und „wollen die Menschen der Natur und somit sich selbst wieder näher bringen“. Nach gut 7-jähriger (oder war´s das ganze Leben?) Vorbereitungszeit, vollem Einsatz und einem Ziel, für das es sich lohnt…- sind wir nun in der herrlichen Domaine Les Juliannes angekommen, einem Waldgut aus dem 17. Jh. mit viel Geschichte, Druidenhain, purer Natur- und uns, mit unserem Lebensprojekt La Source. Vielleicht finden Sie die Zeit, sich einmal mit uns zu beschäftigen- wir sind sicher, es lohnt.
    Sonnige Grüße
    Bettina Gebel & Ralf Wendling

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