Auf der Straße nach Hyderabad

Die Millionenmetropole Hyderabad ist auf dem Sprung in die High-Tech-Welt. Eine Fahrt in die Hauptstadt des indischen Bundesstaats Andhra Pradesh ist eine Reise durch die Zeiten.
Die untergehende Sonne färbt den Himmel orange ein. Wir fahren mit dem Bus durch eine grüne Landschaft mit sanften Hügeln. Getreu dem indischen Grundsatz „gebremst wird nicht” drückt Busfahrer Ashok auf Gas und Hupe und scheucht Radfahrer und Schafhirten, Wasser tragende Frauen und heilige Kühe von der holprigen Fahrbahn. Wir sind auf dem Weg nach Hyderabad, der Stadt der Minarette.

Einen der schönsten Blicke auf die Stadt haben Besucher vom Golconda Fort aus. Die weitläufige Festung auf dem Hirtenhügel, so die wörtliche Übersetzung des indischen Namens Golla Konda, geht auf das 13. Jahrhundert zurück und ist bis heute eine der bedeutendsten Festungsanlagen Indiens. Eine zehn Kilometer lange Außenmauer umschließt vier Festungen mit Tempeln, Moscheen, königlichen Gemächern, Stallungen, Läden. 380 Stufen führen hinauf zum höchsten Punkt, dem dreistöckigen, windumwehten Baradar, wo einst der Herrscher Hof hielt. Durch einen Geheimgang konnte er von hier aus in einen seiner Paläste abtauchen. Eine Licht- und Tonschau erweckt allabendlich die Geschichte des Forts zum Leben. Aufgeregt lauschen Schulkinder in Uniformen den einschmeichelnden Stimmen indischer Schauspieler.
Sie erzählen auch von der Gründung Hyderabads ­ eine Liebesgeschichte. 1591 legte Mohammed Quili Qutb Shah den Grundstein für eine neue Siedlung, die er Bhagmati nannte ­ nach seiner Hindu-Geliebten Bhagyanagar. Als sie schließlich seine Frau wurde, zum Islam übertrat und ihren Namen in Haider Mahal umänderte, änderte sich auch der Name der Stadt: Hyderabad blühte auf.

Die Sonne ist ein blutroter Ball. Ashok jagt den Bus über die Landstraße und in jedes Schlagloch. Selbstmörderisch nimmt er den Kampf mit hochbepackten Lastwagen und anderen Bussen auf. Bremsen kreischen und ich denke an den ausgebrannten Bus, der heute früh am Straßenrand stand und an die vielen Verkehrsopfer, die täglich in der Zeitung stehen. In einem der Tuk Tuks, die wir überholen, stapeln sich 20 Menschen grad so als würden sie für „Wetten dass…” üben. Noch 100 Kilometer nach Hyderabad, der Hauptstadt des indischen Bundesstaats Adhra Pradesh.

Bis der Mogulherrscher Aurangzeb mit seinem Heer die Festung überrannte und der Herrschaft der Qutb Shahis ein Ende setzte, prägten sechs Generationen der türkischstämmigen Shah-Dynastie das Bild der Stadt. Von der Festung aus sind die 33 Grabdenkmäler mit ihren imposanten Kuppeln im Stil des Tadsch Mahal auszumachen, die an die Herrscherfamilien erinnern. Im Tod sind sie vereint, die so manches Mal einander nach dem Leben trachteten. Urvater Sultan Quili Qutb Shah regierte 60 Jahre und ­ so war es zu allen Zeiten ­ seine drei Söhne stritten um das Thronerbe des 90-Jährigen. Da ermordete der mittlere Sohn den greisen Vater und schlug seine beiden Brüder in die Flucht. Der Königsmörder regierte zwei Jahre, ehe ihn eine Krebserkrankung dahinraffte. Dann übernahm Bruder Hussain die Königswürde. Als guter Landesvater staute er das Wasser des Flusses Musi und sorgte so für die Bewässerung der Felder. Sein Sohn Mohammed wiederum gründete die Stadt Hyderabad und schmückte sie mit anmutigen Bauwerken nach dem Vorbild des persischen Isfahan. Das Charminar, eine Art islamischer Triumphbogen mit vier Türmen, ist bis heute das Herz der quirligen Altstadt. In seinem Schatten machen sich Autos, Tuk Tuks und Marktkaufleute die besten Plätze streitig.

Die Sonne ist verschwunden, die Landschaft versinkt in der Dämmerung. Wir rasen ungebremst durch Dörfer, in denen die Menschen sich auf den Abend vorbereiten. Ein Geschäftsmann zählt seine Einnahmen, eine Frau wickelt ihr Baby, alte Männer trinken in einem Bretterverschlag Tschai, den süßen indischen Tee. Ashok hupt ein zur Familienkutsche umfunktioniertes Moped von der Straße und drängt seinen Bus zwischen zwei Lastwagen. Wo, bitte, bleibt Hyderabad?

Ähnlich mächtig und unermesslich reich wie die Shah-Dynastie wurden später die Nizams von Hyderabad, die länger als 200 Jahre regierten ­ bis zur Unabhängigkeit Indiens 1948. Grund ihres Reichtums waren Diamantminen ­ auch der weltberühmte Kohinoor kommt aus Hyderabad. Es wird erzählt, die Nizams hätten nicht nur unendlich viele Paläste besessen, sondern auch ein Schwimmbad voller Diamanten. Einige dieser Paläste, wie der in ein Museum umgewandelte Chowmahalla Palast, künden bis heute von dem unfassbaren Pomp, mit dem sich die Herrscher umgaben. Der repräsentative Falaknuma Palast, in dem der achte Nizam seine hohen Gäste empfing, wird derzeit zu einem Hotel umgebaut (siehe nächste Seite).
Die Pracht und Herrlichkeit des Herrscherhauses lässt sich auch im Salar Jung Museum erleben, in dem die „Hinterlassenschaft eines einzigen Mannes”, des Premierministers Salar Jung Yussuf Ali Khan, angehäuft ist. Bei 3500 Ausstellungsstücken ­ darunter eine erstklassige Elfenbeinsammlung, wertvolle Jade und die berühmte „Verschleierte Rebecca”, ein Marmor-Standbild ­ verlieren die Besucher schon mal den Überblick. Was bleibt, ist der überwältigende Eindruck von orientalischem Pomp, mit dem sich die „für immer geliebten Führer” zu Übermenschen stilisierten. Die Schätze der Nizams verwaltet heute der indische Staat. Der letzte Nizam, Prinz Mukarram Jah, heute 71, muss dennoch nicht darben ebenso wenig wie seine legale erste Frau und die diversen Nebenfrauen. Ein Nizam bleibt ein Nizam ­ auch wenn er in Australien liebt und lebt.

Schlagartig ist es Nacht geworden. Im trüben Licht der Scheinwerfer tauchen gespenstische Gestalten auf und werden wieder vom Dunkel verschluckt. Nackte Glühbirnen erhellen Alltagsszenen, die wie Filmbilder an uns vorüber sausen: Ein kleiner Junge wienert die Frontscheibe eines riesigen Lasters. Eine alte Frau schwankt unter der Bürde auf ihrem Kopf. Eine Familie sitzt vor der Haustür, ein Vater trägt den kleinen Sohn auf der Schulter. Vor einem Zelt aus Palmwedeln brennt ein Feuer, ein Krüppel fährt auf seinem Holzbrett Slalom. In der Ferne scheinen die einzelnen Lichter zu einem großen Ganzen zu verschmelzen: Hyderabad, die Acht-Millionen-Stadt.

Zwei Städte in einer: Hyderabad und Secunderabad sind durch den Hussain Sagar Stausee voneinander getrennt und durch Brücken verbunden. Mitten im Wasser hält eine gigantische Buddha-Statue die Hand über das Häusermeer. Am Rand ist eine neue Stadt am Entstehen: Cyberabad, die Zukunft. Hier schießen Hochhäuser aus Stahl und Glas aus dem Boden (siehe nächste Seite). Hyderabad will als Silicon Valley Indiens Bangalore den Rang ablaufen und es ist schon ziemlich weit auf der Zielgeraden. Als Film-Mekka Tollywood positioniert sich die Stadt selbstbewusst neben Bollywood. Grenzen fallen ­ auch die zwischen Schein und Sein. In „Snow world” fährt die Cyber-Generation auf Kunstschnee ab, während sich vor dem futuristischen Imex Wasserbüffel im Morast suhlen. In Hyderabad hat die Zukunft schon begonnen. Auch die Lufthansa setzt darauf mit neuen Direktflügen. Schon bald soll ein neuer Flughafen entstehen ­ größer und schöner als alle anderen ­ wie alles in Hyderabad.

Ashok gibt noch einmal Gas, rast rumpelnd durch das Gewimmel von Menschen und Motorrädern, überfährt ein paar rote Ampeln ­ und dann sind wir am Ziel ­ nach dreieinhalb Stunden und 150 Kilometern. Ein Kilometer kann in Indien ganz schön lang werden ­ und 150 Kilometer offenbaren eine ganze Welt.

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