Angriff aus dem Dunkel der Geschichte: Jessica Durlachers „Der Sohn“

Sara trauert um ihren Vater, der die Familie zusammen gehalten, sie und ihre Schwester auf seine autoritäre Art beschützt hat. Er, der immer so Vorsichtige, ist nach einem Sturz gestorben. Jetzt fehlt der Familie der Halt, seine scheinbar unerschütterliche Sicherheit.

Nach seinem Tod sind die Witwe und die Töchter sich selbst überlassen. Und schon bricht die erste Katastrophe über Sara herein. Beim Joggen im Wald wird sie überfallen und missbraucht. Den Missbrauch verschweigt sie Mann und Tochter, auch dem Sohn. Es war zu erniedrigend, sie kann darüber nicht reden. Auch dann nicht, als Sohn Mitch sich gegen den Willen der Eltern für die US-Marines verpflichtet, obwohl er in den Niederlanden aufgewachsen ist. Sara versteht die Welt nicht mehr: Warum suchte gerade ihr Sohn die Nähe des Krieges? Dass er das tun müsste – auch für seinen Großvater, hat Mitch ihr gesagt. Wie das alles zusammenhängt, wird Sara erst viel später begreifen.
Vorher noch wird die Familie in ihrem Haus überfallen. Noch eine demütigende Erfahrung, vor allem, weil die Eltern der minderjährigen Tochter nicht beistehen konnten. Was ist nur los mit ihrem Leben? Als alles schon zerstört zu sein scheint, die Lebensbasis zersprungen wie eine kaputte Vase, hat Saras unermüdliche Spurensuche Erfolg. Sie kommt ihrem Peiniger auf die Spur und dem Geheimnis ihres Vaters, das er vor allen verborgen hat. Nur nicht vor Mitch. Der Sohn hat  seine Lehre aus der Geschichte des jüdischen Großvaters gezogen, der seine Familie nicht gegen die Nazis verteidigen konnte, machtlos war.
Jessica Durlacher schafft in ihrem großartigen Buch mit fast traumwandlerischer Sicherheit den Spagat zwischen Familiengeschichte und Thriller. Nie fehlen ihr die Worte, auch wenn sie Dinge beschreibt, die eigentlich unbeschreiblich sind: den Missbrauch, die Verlustängste, die Demütigung durch die Einbrecher. Sie analysiert so mitleidlos und formuliert so messerscharf, dass dem Leser die Luft wegbleibt. 
Info: Jessica Durlacher, Der Sohn, Diogenes, 405 S., 22.90 Euro


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