Raoul Schrott: Homers Ilias kann leicht mit Joyces Ulysses mithalten – Ein Gespräch

 

Prof. Raoul Schrott, geboren in Tunis, Literaturwissenschaftler, Autor, Übersetzer, hat drei Jahre seines Lebens mit der Übertragung von Homers Ilias ins Deutsche zugebracht.

Frage:  Sie haben offensichtlich ein Faible für epochale Werke. Nach der  Übertragung des Gilgamesch-Epos ins Deutsche haben Sie die Ilias in Angriff genommen. Warum nicht die Odyssee?
Schrott:  Für die Odyssee gibt es bereits eine Bandbreite an lesbaren Übersetzungen. Die Ilias hingegen ist – dem Status entsprechend, den Homer bei uns in der Klassik errang – stets nur in einem pseudo-klassischen Deutsch übertragen worden, wie es weder Winckelmann  noch Goethe je gesprochen haben. Deswegen tat eine Übertragung not, die der Ilias ihre Poesie und ihren eigentlichen Sinngehalt wieder zurückgibt

Frage: Die Zeit nannte Sie einen polyglotten Polyhistor. Woher kommen Ihre umfassenden Kenntnisse der alten Sprachen?  

Schrott: Aus meinem Interesse; aus der Lust an der Poesie, die ja stets ein Sprachereignis ist, egal in welcher Kultur. Die eigentlichen Kenntnisse kommen jedoch stets aus der Philologie: all den Kommentaren, der Sekundärliteratur, den diversen Forschungen – deren Erkenntnisse es gilt, wieder poetisch nutzbar zu machen. Denn Dichtung kann man letztlich nur gerecht werden, wenn auch die Übersetzung wieder zu Poesie wird.

Frage: Bei Ihrer Übersetzung haben Sie trotzdem  auf die klassischen Hexameter  verzichtet, auch zugunsten eines modernen Sprachflusses. Für viele ein Sakrileg. Was waren Ihre Beweggründe?

Schrott: Der griechische Hexameter benützt drei Ebenen: Tonhöhen von C F und G; Tonlängen von kurzen und langen Silben, sowie einen synkopiert und diskret darunter liegenden Taktschlag – was ihn zum wirklichen Gesang macht ,einem dynamischen Klangereignis. Der deutsche Hexameter – der nur mehr auf dem Taktschlag beruht, metronomisch eintönig mit seinem Di-dada, Di-dada…kann dem nicht gerecht werden: das ist so, als wolle man Beethoven Eroica mit einer alten Schreibmaschine nachtrommeln. Daher eine Musikalität, die die Spannung und Variabilität des alten Griechisch wiedergibt.

Frage: Sie haben drei Jahre lang an der Ilias gearbeitet. Jeder Tag eine Zeitreise in die Antike und zurück. Wie schafft man das?

Schrott: Das waren lange Jahre, Tag und Nacht am und im Werk – zunächst ein intensives Studium der philologischen Arbeiten, um erst das herauszufinden, was Homer sagt, dann das, was er damit meint und andeutet (denn jede Poesie ist ja Suggestionskunst, bei das, was zwischen den Zeilen steckt genausowichtig wie der reine Wortlaut ist) – um sch dann zu überlegen: wie könnte man heute das ausdrücken, was Homer damals meinte und sein Publikum darunter verstand.Das ging nur mit strikter Disziplin.  Zehn  Stunden am Tag für 50 Zeilen, wenn es gut ging, meistens weniger.

Frage: Sie haben gesagt, Sie kannten nach den drei Jahren die Ilias besser als manch einer seine Frau. Was hat sie an Homers kriegerischer Geschiche besonders fasziniert?

 Schrott:  Die moderne Vielschichtigkeit dieses Textes, der es gut und gern mit James Joyce’s Ulysses aufnehmen kann. Die vielen Tonlagne von tragisch bis komisch – denn der Textist tragikomisch und das homerische Gelächter sprichwörtlich – von poetisch bis lakonisch. Wie Homer seine Figuren zum Sprechen bringt, um wie beim Brechtschen Theater, den Leser entscheiden zu lassen, wer recht hat. Seine subtile Psychologie, die erstmals Charaktäre und ihre innerliche Gebrochenheit darzustellen versucht. Die Dramatik der Handlung. Und die Lust, in diesem Text eine ganze Welt wieder zu entdecken – denn für seinen enzyklopädischen Anspruch war Homer schon in der Antike berühmt. Und da man beim Übersetzen weit genauer liest als sonst, lernt man dahinter auch langsam den Autor kennen – alle seine Macken ebenso wie seine Größe. Und da ist Homer – mit seinem völlig entsexualisierten Blickwinkel auf die Welt, der Eros nur im Kampf beschreibt, nunmal ein ebenso schwieriger wie interessanter Charakter. Was nicht heißen soll, daß er ein Kriegsverherrlicher ist – das ist ein Mißverständnis, das in der Klassik aufkam: Schrecklich an der Ilias ist gerade die Objektivität mit der er all die Tode schildert: mit dem Blick eines heutigen Kriegsberichterstatters.

Frage: Mit Ihrer These, Schauplatz der Ilias sei nicht Troja sondern Kilikien haben Sie sich bei Altphilologen und anderen Altertumsforschern in die Nesseln gesetzt und auch im Blätterwald für leidenschaftliche
Diskussionen gesorgt. Wie lebt es sich damit?

Schrott: Sehr gut eigentlich. Dass in zwölf Monaten 250 Jahre Homerforschung nicht umgestoßen werden konnten, war klar. Die vielen Symposien haben bis jetzt aber erreicht, daß man sich mit meiner These auseinanderzusetzen beginnt – ohne daß ich bislang auch nur ein Argument gehört hätte, das meine These aushebeln könnte – was mich schon überrascht hat. Zu erreichen, daß man die Ilias aber erstmals unter dem Aspekt der Literaturwissenschaft
– und sie nicht nur als Beleg für Althistorie liest – zu betrachten beginnt, ist da aber schon ein erster Erfolg. Ebenso wie der Umstand, dass nun auch endlich einmal die orientalischen Wurzeln Homers und unserer Kultur gebührend gewürdigt werden…

Info: Raoul Schrott, Ilias von Homer, Hanser, 34, 90 Euro. Als Hörbuch gelesen von Manfred Zapatka, erschienen im HörVerlag, 21 CD, 79, 95 Euro.

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